4. Nachhaltigkeit
Ganzheitlicher Gewässerschutz
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
		
		 
		Was macht der Rhein an der Grenze zu den Niederlanden? Er fließt einfach weiter. Und deswegen darf der Gewässerschutz auch nicht an einer für den Fluss beliebigen Grenze aufhören. Stattdessen sind ganzheitliche, länderübergreifende Konzepte notwendig - und genau deshalb gibt es die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Ziel der Richtlinie ist es, europaweit die Qualität der Oberflächengewässer und des Grundwassers deutlich zu verbessern. Sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, bis zum Jahr 2015 alle Oberflächengewässer (also die Seen, Bäche, Flüsse und Küstengewässer) sowie das Grundwasser in einen "guten Zustand" zu bringen. Für die Umsetzung der WRRL müssen alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne erstellen. Diese Pläne gelten grenzüberschreitend für sogenannte Flussgebietseinheiten. Das sind die natürlichen Räume der großen Fließgewässer (zum Beispiel der Rhein), ihre sogenannten Einzugsgebiete. Zu einem Einzugsgebiet gehören auch alle Zuflüsse und das zuströmende Grundwasser. Deutschland ist insgesamt an zehn Flussgebietseinheiten beteiligt. Für die Aufstellung der Bewirtschaftungspläne sind umfangreiche Untersuchungen notwendig. Zuerst wird der Zustand der Gewässer und des Grundwassers untersucht und bewertet. Zur Beschreibung des ökologischen Zustands der Fließgewässer müssen drei Aspekte berücksichtigt werden:
- Lebensgemeinschaften. Dies beinhaltet eine Bewertung der Lebensbedingungen von Fischen über größere Wasserpflanzen bis hin zu Kleinlebewesen und Algen
- Wasserhaushalt und Gewässerstruktur, wie zum Beispiel Gewässer- und Uferbeschaffenheit, Durchgängigkeit und Abflussverhalten
- Wasserbeschaffenheit, also die Wasserqualität
Die Bewertung erfolgt nach einem einheitlichen System in fünf Stufen.
| Sehr gut | Lebensgemeinschaften, Wasserqualität sowie Wasserhaushalt und Struktur des Gewässers weisen keine oder nur geringfügige Abweichungen von einem Zustand auf, der ohne störende menschliche Einflüsse zu erwarten wäre. | 
|---|---|
| Gut | Die Lebensgemeinschaften weisen auf geringe, vom Menschen verursachte Störungen hin, weichen aber nur geringfügig vom sehr guten Zustand ab. | 
| Mäßig | Die Lebensgemeinschaften weisen auf signifikant stärkere Störungen hin und weichen mäßig vom sehr guten Zustand ab. | 
| Unbefriedigend | Die Lebensgemeinschaften weichen erheblich von einem Zustand ohne menschliche Störungen ab. | 
| Schlecht | Große Teile der Lebensgemeinschaften, die bei sehr gutem Zustand vorhanden wären, fehlen. | 
Nach Analyse der maßgeblichen Belastungen werden realisierbare Maßnahmen zum Beispiel zur Verbesserung der Gewässerstrukturen geplant und umgesetzt. Dabei ist es oft schwierig, die Konflikte zwischen bestehenden Nutzungen an den Flüssen und den ökologischen Erfordernissen - also zwischen den Anforderungen von Mensch und Natur - zu lösen. Ein guter ökologischer Zustand für alle Gewässer kann in unserer dicht besiedelten und intensiv genutzten Landschaft nicht in allen Fällen oder jedenfalls nicht kurzfristig erreicht werden. Deshalb sind Ausnahmen möglich, wie zum Beispiel Abweichungen vom Bewirtschaftungsziel oder Fristverlängerungen.
Gewässergüte
Aber wann ist ein Fluss oder ein Bach in einem guten ökologischen 
		Zustand? Wenn ich darin schwimmen kann? Wenn ich das Wasser 
		trinken kann? Oder einfach nur, wenn er schön aussieht? Zur 
		Beurteilung des Gewässerzustandes sind genaue Kriterien und 
		Methoden notwendig. Von besonderer Bedeutung sind dabei die 
		Tiere und Pflanzen (Arteninventar).
		Viele der Lebewesen, die in einem Bach oder Fluss leben, haben ganz 
		bestimmte Ansprüche an ihren Lebensraum. Einige brauchen klares 
		und sauerstoffreiches Wasser, andere dagegen bevorzugen nährstoffreichen 
		Schlamm. Das Vorkommen beziehungsweise die Häufigkeit solcher 
		Tiere lässt also auf eine bestimmte Wasserqualität schließen. Deshalb 
		werden sie auch als Zeigerarten (Indikatorarten) bezeichnet. Mit ihrer 
		Hilfe können Fließgewässer in verschiedene Gewässergüteklassen 
		eingeteilt werden. Eine bewährte Methode zur Bestimmung der 
		Gewässergüte ist das Saprobiensystem (abgeleitet von dem griechischen 
		Wort "sapros" = Fäulnis im Sinne von fäulnisfähiger, also 
		abbaubarer Substanz). Das Prinzip beruht darauf, dass der Grad der 
		Verschmutzung eines Fließgewässers mit biologisch abbaubaren, 
		nicht toxischen (giftigen) Stoffen die Zusammensetzung der darin 
		lebenden Tier- und Pflanzenwelt prägt. Die Funktionsweise ist einfach: 
		Wasserlebewesen brauchen Sauerstoff, bestimmte Arten 
		besonders viel, andere kommen mit weniger aus. Beim Abbau der 
		organischen Substanzen durch die Mikroorganismen wird Sauerstoff 
		verbraucht. Wird dieser zu knapp, verschwinden anspruchsvollere 
		Arten, und solche, die mit weniger Sauerstoff auskommen, breiten 
		sich in Massen aus. Je nach Vorkommen und Häufigkeit bestimmter
		Zeigerarten können so die Fließgewässer in verschiedene Güteklassen 
		eingeteilt werden. Das bekannteste und bei uns am häufigsten angewendete 
		System unterscheidet vier verschiedene Güteklassen mit drei 
		Zwischenstufen, die mit römischen Ziffern gekennzeichnet und in den 
		Gütekarten in den Farben des Regenbogens dargestellt werden.
		Bei der Güteklasse I ist das Wasser unbelastet oder sehr gering 
		belastet. Hierzu gehören Quellgebiete und Flussoberläufe mit reinem, 
		fast sauerstoffgesättigtem Wasser. Die Sauerstoffsättigung wird meist 
		in Prozent angegeben. Sie ist abhängig von der Temperatur, dem 
		Luftdruck und den im Wasser gelösten Stoffen. Sauerstoffgesättigtes 
		Wasser enthält die größtmögliche Menge an gelöstem Sauerstoff, also 
		100 Prozent Sättigung. Die Gewässer sind sehr nährstoffarm und werden 
		nur von wenigen Tieren besiedelt. Zeigerarten sind zum Beispiel 
		verschiedene Steinfliegenlarven. Fließgewässer der Güteklasse II 
		sind mäßig verunreinigt. Der Sauerstoffgehalt des Wassers schwankt, 
		liegt aber bei über 70 Prozent des Sättigungswertes. Hier fühlen sich 
		die Fische besonders wohl. Zu den Zeigerarten gehören Bachflohkrebse, 
		Eintags- und Köcherfliegenlarven. Gewässerabschnitte der Güteklasse 
		III sind stark verschmutzt, und das Wasser ist getrübt. Der 
		Sauerstoffgehalt schwankt zwischen 25 und 70 Prozent des Sättigungswertes, 
		sodass den Fischen manchmal die Luft ausgeht. Zeigerarten 
		sind beispielsweise Wasserassel und Rollegel. Bei Fließgewässern der 
		Güteklasse IV ist das Wasser übermäßig verschmutzt und stark 
		getrübt. Typisch sind Faulschlammablagerungen, die häufig nach 
		"faulen Eiern" (Schwefelwasserstoff) riechen. Der Sauerstoffgehalt ist 
		äußerst niedrig und sinkt fast auf null. Fische haben keine Überlebenschance. 
		Hier tummeln sich als Zeigerarten Zuckmückenlarven und 
		Rattenschwanzlarven. Die Güteklassen I und II sind für natürliche 
		Flüsse und Bäche charakteristisch, die anderen Klassen deuten meist 
		auf eine Verschmutzung durch uns Menschen hin. Die Bestimmung 
		der Gewässergüte nach dem Saprobiensystem ist eines von mehreren 
		Kriterien zur Beurteilung des ökologischen Zustands gemäß der 
		Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Die fünfstufige Bewertungsskala 
		lässt sich vereinfacht wie folgt übertragen.
| Gewässergüteklasse | Ökologischer Zustand | |
|---|---|---|
| I | Unbelastet bis sehr gering belastet | 1 (sehr gut) | 
| I-II | Gering belastet | 2 (gut) | 
| II | Mäßig belastet | |
| II-III | Kritisch belastet | 3 (mäßig) | 
| III | Stark verschmutzt | 4 (unbefriedigend) | 
| III-IV | Sehr stark verschmutzt | 5 (schlecht) | 
| IV | Übermäßig verschmutzt | |
Hellblau hinterlegte Begriffe werden in aktuellen Internetbrowsern bei Mausberührung erklärt.
 
		Heutzutage werden so viele verschiedene Substanzen in unsere 
		Bäche und Flüsse eingeleitet, dass zusätzlich die Wasserqualität 
		regelmäßig im Labor untersucht wird. Gemessen werden chemische 
		und physikalische Parameter wie Wassertemperatur, pH-Wert, Sauerstoffgehalt 
		und Pflanzennährsalze (Stickstoff- und Phosphorverbindungen, 
		zum Beispiel Nitrate und Phosphate), aber auch giftige 
		Stoffe wie Schwermetalle, Pflanzenschutzmittel und Industriechemikalien.
		Und schließlich wurde alles Machbare getan, das Wasser ist sauber, 
		aber kein Fisch will darin schwimmen. Warum? Die Lebensbedingungen 
		in unseren Flüssen und Bächen werden nicht nur von der chemischen 
		Wasserqualität, sondern auch von der Strukturausstattung und der 
		Gewässerdynamik geprägt. Sauberes Wasser bedeutet aber nicht 
		automatisch auch eine gute Gewässerstruktur. Diese ist durch 
		Begradigung und technischen Ausbau der Fließgewässer sowie die 
		Zerstörung der natürlichen Auenlandschaften oft schwerwiegend verändert 
		worden. Dadurch fehlen in vielen Bächen und Flüssen die 
		charakteristischen artenreichen Lebensgemeinschaften.
		Die Gewässerstrukturgüte ist ein Maß für den Natürlichkeitsgrad 
		eines Gewässers. Erfasst und bewertet werden hierbei alle Strukturen 
		im Wasser und am Ufer, aber auch das Gewässerumfeld, also die Aue 
		und deren Nutzung. Die Einteilung erfolgt in sieben verschiedene 
		Strukturgüteklassen von "unverändert" (Strukturgüteklasse 1) bis 
		"vollständig verändert" (Strukturgüteklasse 7).
 
		Die Lippe und ihre Nebenbäche befanden sich bis Mitte der 1970er 
		Jahre in einem ausgesprochen schlechten Zustand. Aber besonders 
		durch den Bau von Kläranlagen hat sich die Situation deutlich verbessert. 
		Rund 75 Prozent der gesamten Gewässerstrecke sind heute 
		gering oder mäßig belastet (Gewässergüte I-II oder II) und nur ein 
		Prozent ist stark bis übermäßig verschmutzt (Gewässergüte III bis IV). 
		Trotzdem gibt es noch viel zu tun, besonders für die Gewässerstruktur. 
		Denn 43 Prozent der untersuchten Gewässerabschnitte sind sehr 
		stark oder übermäßig verändert, und nur sieben Prozent kann man 
		als natürlich oder weitestgehend naturnah bezeichnen. Das heißt, sie 
		sind unverändert oder gering verändert. An der Emscher und ihren 
		Nebenbächen ist die Situation schlechter als an der Lippe. Aber mit 
		dem 1991 begonnenen Umbau des Emschersystems verbessert sich 
		der Zustand Schritt für Schritt.
		Durch die Umgestaltung der Bäche und Flüsse in der Emscher-Lippe-Region ist man auf einem guten Weg, im Sinne der Europäischen 
		Wasserrahmenrichtlinie die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen 
		Erfordernisse in Einklang zu bringen. Allerdings sind dem naturnahen 
		Umbau der Fließgewässer hier auch Grenzen gesetzt. Durch nicht wieder 
		umkehrbare Eingriffe des Menschen, wie zum Beispiel Bergsenkungen 
		als Folge des Kohleabbaus, wurde die Landschaft dauerhaft 
		verändert. Gewässerbegleitende Deiche und zahlreiche Pumpwerke 
		werden deshalb auch zukünftig bestehen bleiben müssen.

